Das Dorf der Freundschaft ist ein internationales Versöhnungsprojekt. Es wurde durch den ehemaligen US-Soldaten George Mizo initiiert. Es bietet Menschen, die unter den Spätfolgen des Vietnamkrieges leiden – geistig und körperlich behinderten Kindern und Jugendlichen sowie Älteren – Hilfe und Unterstützung.

Wundersame Wirklichkeit

Das “Dorf der Freundschaft” in Vietnam ist ein einzigartiges Versöhnungsprojekt: Eine Einrichtung für Menschen, die unter Erkrankungen und Behinderungen als Spätfolgen des Vietnamkrieges leiden, gegründet von einem ehemaligen US-Soldaten. Jetzt wurde das Projekt in Deutschland mit dem “Siegmund-Schultze Förderpreis für gewaltfreies Handeln” gewürdigt.

Von Rainer Hub

 

Seit zehn Jahren ist ein Traum Wirklichkeit: Seit zehn Jahren lebt das “Dorf der Freundschaft”. Am 18. März dieses Jahres feierten unter Beteiligung der vietnamesischen Vizepräsidentin Mrs. Nguyen Thi Doan etwa 200 Personen am Rande der Millionenmetropole Hanoi das zehnjährige Bestehen des Projekts. Und in Deutschland wurde es im September durch die zivil-Herausgeberin, die “Evangelische Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer” (EAK), mit dem “Friedrich Siegmund-Schultze Förderpreis für gewaltfreies Handeln” ausgezeichnet (siehe unten).

Das “Dorf der Freundschaft” ist in seiner Art einmalig: Es ist ein internationales Versöhnungs- und Verständigungsprojekt, in dem teils ehemalige Kriegsteilnehmer und -gegner engagiert sind, mit dem Anspruch, durch gewaltfreies Handeln die Wunden und Spätfolgen des bomben- und biochemiewaffenreichsten Krieges des 20. Jahrhunderts zu heilen und zu lindern. Auch in der dritten Nachkriegsgeneration, 32 Jahre nach dem offiziellen Ende des Krieges, werden immer noch Kinder mit Chromosomenveränderungen, Missbildungen und Behinderungen körperlicher, emotionaler und geistiger Art geboren. Die Anzahl dieser Kinder nimmt nicht ab – und die Missbildungen werden zum Teil noch schlimmer.

1968 – 1978 – 1988 – 1998 – 2008

Als Traum, als wundersame Idee wurde das “Dorf der Freundschaft” von dem seit den 1980er Jahren in Deutschland lebenden Vietnam-Veteranen George Mizo auf den Weg gebracht. Zehn Jahre etwa trug er sie bereits in sich, als er 1988, 20 Jahre nach seinem verletzungsbedingten Kriegsabzug im Januar 1968, erstmals wieder nach Vietnam zurückkehrte. Nach all dem dort angerichteten “Bullshit” wollte George Mizo etwas Gutes und Sinnvolles tun – vielleicht ein Wunder verwirklichen. Es sollte jedenfalls mehr sein – und viel mehr werden – als ein stummer Gedenkstein.

Weitere zehn Jahre waren es anschließend, bis aus der wundersamen Idee, aus viel Überzeugungsarbeit, aus Plänen, Anträgen und Bauarbeiten am 18. März 1998 endlich die Einweihung dieser bis heute in Vietnam einmaligen Einrichtung Wirklichkeit wurde. Die Einweihung des Dorfes und die ersten Jahre der Arbeit hat George Mizo noch miterlebt. Er verstarb jedoch viel zu früh, am 18. März 2002.

Die Fässer mit der orangefarbenen Banderole

1998 begann das in traditioneller vietnamesischer Bauweise entstandene Dorf mit 30 Menschen zu leben. Heute, 2008, sind es 160 Bewohner. 120 davon sind Kinder und Jugendliche, die dort nach Bedarf auch behandelt, betreut, therapiert, operiert, unterrichtet und ausgebildet werden. Sie lernen zum Teil traditionelle vietnamesische Handwerksarbeit, wie Nähen, Sticken, Schneidern und das Erstellen von Papierblumen, sie lernen aber auch umzugehen mit neuen Techniken, inklusive PC-Nutzung, und können so trotz ihrer Erkrankungen und Behinderungen für ihren eigenen Lebensunterhalt zumindest mitsorgen.

40 weitere Personen im Dorf sind ehemalige vietnamesische Kriegsveteranen, die neben Schuss- und Bombenverletzungen auch an den unheilbaren Spätfolgen durch den Einsatz von biochemischen Kampfstoffen leiden. Der Bekannteste ist jener mit dem hochgiftigen Dioxin. Gelagert und transportiert in Fässern, die mit einer orangefarbenen Banderole markiert waren: Agent Orange. Vier Millionen Liter davon hat das US-Militär zwischen 1961 und 1971 Über Vietnam versprüht – das sind 336 Kilogramm reines Dioxin.

Vietnam – mehr als nur ein Krieg

Auch wenn für Europäer und Amerikaner Vietnam ein nicht nur geographisch weit entferntes Land ist, so sind selbst die (Reise-)Wege an das südchinesische Meer in der globalisierten Welt kürzer geworden. Inzwischen ist das südostasiatische Land zu einem Touristenmagnet mit einer boomenden Reiseindustrie geworden. Dabei möchte es mit dem Slogan “Vietnam – mehr als nur ein Krieg” auf seine Tausende Jahre zurückreichenden Traditionen und Kulturen hinweisen und in dieser Aufbruchstimmung aufmerksam darauf machen, dass es viel mehr als die Geschichte der beiden Indochinakriege in den 1950 und 60er Jahren aufzuweisen hat. Dieser Trend wird natürlich von der Tatsache verstärkt, dass Vietnam eine sehr junge Bevölkerung hat. Die Mehrheit ist nach dem Kriegsende 1975 geboren und versucht, einen eigenen Weg zu finden in einem nach wie vor sozialistisch geprägten Staat mit einer sich dem Kapital öffnenden Wirtschaft.

Das Dorf der Freundschaft heute und morgen

Auch das Leben und Arbeiten im “Dorf der Freundschaft” verändert sich ständig. Die Öffnung des Landes hat unter anderem dazu beigetragen, dass beispielsweise durch den Deutschen Entwicklungsdienst (DED) vermittelte und finanzierte Fachkräfte zum Einsatz kommen. Inzwischen haben Begriffe wie “differenzierte Diagnostik” und “individualisierte Therapiepläne” Einzug gehalten und die “Einrichtung einer ambulanten Beratungsstelle” zur Betreuung von Menschen mit Behinderungen kam neu hinzu. Einer der für das Dorf tätigen vietnamesischen Übersetzer kam kürzlich zu der Einschätzung: “Das Dorf der Freundschaft ist die mit Abstand beste Einrichtung dieser Art und beispielhaft für ganz Vietnam

”.

Die positive Entwicklung des Projektes hat die vietnamesische Regierung bezüglich der Finanzierung dazu veranlasst, mittlerweile etwas mehr als die Hälfte der laufenden Kosten für das “Dorf der Freundschaft” zu tragen. Alle anderen Mittel wollen auch weiterhin die internationalen Partner aufbringen, nicht zuletzt, um den internationalen Versöhnungsgedanken weiter lebendig zu halten. Neben den bisher gegangenen Wegen mit Spenden und Förderanträgen soll, was die deutsche Unterstützung anbelangt, künftig eine Stiftung zum Zweck der langfristigen Förderung des “Dorfs der Freundschaft” ins Leben gerufen werden.

“You can make a difference”

Die “Botschaft” von George Mizo lautete bei all seinen zahlreichen Gesprächen mit jungen Menschen immer wieder “You can make a difference” – “Du kannst etwas verändern”. Danach lebte er und damit brachte er zum Ausdruck, dass er in der Gestaltungskraft des Einzelnen den entscheidenden Faktor sah, ob etwas geschieht, ob etwas entsteht, sich verändert oder auch nicht. Dieses Motto wird auf dem Weg der Stiftungsgründung und der Suche nach möglichst zahlreichen Anstifter/innen erneut leitend sein müssen. Dann wird auch auf dem Weg zu einer Stiftung ein kleines Wunder Wirklichkeit werden können.

Dass der Todestag von George Mizo auf den 18. März und somit auf das gleiche Datum wie die Gründung des Dorfes fiel, mag Zufall oder Teil des Vermächtnisses über seinen Tod hinaus sein. Nicht zufällig aber ist geplant, die “George-Mizo-Stiftung” am 18. März 2009 zu gründen.


Friedenspreis

Der “Friedrich Siegmund-Schultze Förderpreis für gewaltfreies Handeln” wurde in diesem Jahr an zwei Organisationen verliehen: An die Initiative zur Unterstützung US-amerikanischer Kriegsdienstverweigerer “Military Counceling Network” und an das “Dorf der Freundschaft” in Vietnam.

Bei der Preisverleihung: Rosi Höhn-Mizo, die Internationale Vorsitzende des “Dorfs der Freundschaft Vietnam” und Witwe von George Mizo, zusammen mit dem EAK-Vorsitzenden Walter Herrenbrück

“Wenn du überlebst, dann musst du für den Frieden leben” – das sagte sich der US-Soldat George Mizo, als er im Januar 1968 während einer der schlimmsten Schlachten des Vietnamkrieges schwer verwundet wurde. Als Christ und Amerikaner hatte er sich freiwillig nach Vietnam gemeldet, weil er helfen wollte, “den armen und einfachen Bauern Südvietnams gegen die kommunistische Aggression beizustehen”.

Durch seine Kriegsteilnahme wurde ihm klar, dass er dabei mithalf, genau das zu zerstören, was er eigentlich hatte schützen wollen. Er begriff, dass der Krieg höllischer Irrsinn ist, den ausschließlich Menschen – nicht Gott – zu verantworten haben. In dieser Situation fasste Mizo seinen Entschluss: “Wenn Du überlebst, dann musst Du den Rest Deines Lebens den Mund aufmachen gegen den Krieg und für den Frieden leben.” Zwei Tage nach seiner Verwundung wurden alle 450 Mann seiner Einheit bei einem Angriff getötet. Aus dem Militärhospital entlassen, brachte sein “ein für allemal gefasster Entschluss” den mehrfach ausgezeichneten Vietnam-Veteranen ins Militärgefängnis: Wegen “fortgesetzter Befehlsverweigerung” saß er dort zweieinhalb Jahre, bis seinem Antrag auf Entlassung aus der Armee stattgegeben wurde.

Kontakte zu den “International Veterans for Peace” und zur US-amerikanischen Friedensbewegung brachten George Mizo nach Deutschland. Von hier aus setzten er und seine Frau mit Unterstützung aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Japan, Kanada und den USA und – nicht zuletzt – gemeinsam mit Vietnam seine Idee in die Tat um: In der Nähe der Hauptstadt Hanoi ein “Dorf der Freundschaft” aufzubauen. Es bietet Opfern des Vietnamkriegs eine neue Heimat und praktiziert damit tatkräftig Solidarität für Waisen, behinderte und alte Menschen.

Der zweite Preisträger ist die in Deutschland ansässige Initiative “Military Counceling Network”, MCN, deren Ziel es ist, Kriegsdienstverweigerer innerhalb der US-Army auf ihrem schwierigen Weg zu begleiten und zu beraten. zivil wird in der nächsten Ausgabe ausführlich über die Arbeit von MCN berichten.

Der “Friedrich Siegmund-Schultze Förderpreis für gewaltfreies Handeln” wurde 2008 zum siebten Mal von der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft zur Betreuung der Kriegsdienstverweigerer (EAK) verliehen. Der Preis erinnert an das friedens- und sozialethische Wirken des evangelischen Theologen und Ökumenikers Friedrich Siegmund-Schultze (1885-1969) und will “gute Taten in Sachen Friedensstiftung aufspüren und Aufmerksamkeit auf Initiativen oder Personen lenken, die Widerstand gegen Gewalt praktizieren und zum Friedenshandeln ermutigen”. Der Preis ist in diesem Jahr mit insgesamt 6.000 Euro aus privaten Spenden dotiert. W.Sch.


(Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung der Autoren)