Zwei durch die Folgen von Agent Orange geistig behinderte Jungen im Dorf der Freundschaft in Vietnam. Sie erlernen, wie man Motive auf Stoffbahnen stickt. Das Dorf bietet Veteranen des Vietnamkriegs eine Gelegenheit zur Erholung. Dioxingeschädigte Kinder werden aufgenommen, damit sie im Idealfall eine Ausbildung durchlaufen können. Fotos: hn
Spätfolgen
In Vietnam kommen nach wie vor Kinder zur Welt, die durch das Entlaubungsgift Agent Orange schwer in Mitleidenschaft gezogen sind. Ihre Eltern oder Großeltern kamen mit Dioxinverbindungen in Berührung, die im Vietnamkrieg von den USA eingesetzt wurden. Erbgutschäden sind die Folge dieser Gifte. Das Dorf der Freundschaft , das sich um die Kinder kümmert, unterhält enge Bande nach Baden-Württemberg. Von Hermann Neu
Die dritte Generation der Dioxin-Opfer ist manchmal stärker geschädigt als die zweite.
Sie sind mehr als 20 Jahre alt, sehen aber aus wie Kinder. Sie sind geistig behindert oder haben körperliche Missbildungen. Ihnen können die Augen oder die Ohren oder ganze Gliedmaßen fehlen. Nur Zehen oder Finger vielleicht, aber auch Arme oder Beine. Der Kopf kann absurde Formen haben, das Gehirn sogar doppelt angelegt oder der Rücken offen sein die Folgen des Einsatzes von Entlaubungsmitteln sind furchtbar: Für Amerikaner, die im Vietnamkrieg mit dem von Flugzeugen versprühten Gift in Kontakt kamen, vor allem aber für Millionen Vietnamesen. Der Krieg ging 1973 zu Ende. Die Entlaubungsaktionen mit dem Ziel, dem Gegner im Dschungel die Deckung zu nehmen, endeten schon 1971. Doch es scheint, dass das Teufelszeug Dioxin, bekannt als Seveso-Gift und Bestandteil des berüchtigten Agent Orange, heute noch schlimmer zuschlägt als in früheren Jahren: Die dritte Generation der Betroffenen ist manchmal schwerer geschädigt als die zweite, erzählen Kenner der Materie im Dorf der Freundschaft in Vanh Canh im Norden Vietnams. In dem mit Spenden finanzierten Dorf in der Ha Tay Provinz, eine Dreiviertelstunde Autofahrt von der Hauptstadt Hanoi entfernt, kümmert man sich seit 1998 um Veteranen aus dem Amerikanischen Krieg sowie um deren Kinder und Enkel. 150 Menschen werden insgesamt betreut. 40 Mitarbeiter sorgen für sie, zwei Ärzte, fünf medizinische Assistenten, Lehrer, Physiotherapeuten, Hausmütter sowie Mitarbeiter in Verwaltung oder Küche. Das Dorf versucht, so weit wie möglich als Selbstversorger durchzukommen. Es gibt Obstplantagen, den Gemüsegarten und sogar eine Biogasanlage.
Die oftmals heute noch psychisch traumatisierten Kriegsveteranen kommen für ein paar Wochen zur Erholung ins Dorf. Kinder, die durch Agent-Orange-Spätfolgen behindert sind, können länger bleiben. Sind sie dazu in der Lage, erhalten sie eine Ausbildung beispielsweise in der Schneiderei, im Sticken oder im Blumenbinden. Für manche Kinder ist das Leben im Dorf wohl eher eine Abwechslung oder eine Gelegenheit zum Aufpäppeln. Einige von ihnen werden absehbar nur schwerlich eine Tätigkeit erlernen, geschweige denn ihr Leben in die eigene Hand nehmen können. Das Dorf gleicht dem berühmten Tropfen auf den heißen Stein: Man kann sich nur um wenige Kinder in Relation zur Gesamtzahl der Dioxin-Spätopfer in Vietnam kümmern. Aufgenommen werden nur Fälle, bei denen Aussicht auf Besserung besteht.
Das Dorf pflegt mannigfaltige Verbindungen nach Baden-Württemberg. So überbrachten Parlamentarier aus dem Südwesten im Zuge der Reise einer Delegation des Wirtschaftsministeriums unter Leitung von Minister Ernst Pfister jüngst eine Geld- und Sachspende. George Mizo, der inzwischen verstorbene Initiator des Dorfes, hat zuletzt in der Nähe von Stuttgart gelebt. In der Endphase seines Lebens litt der Amerikaner an Erkrankungen, die mutmaßlich von Agent Orange verursacht wurden. Als Freiwilliger war Mizo nach Vietnam in den Krieg gezogen. Er wurde mit den Gräueln des Krieges konfrontiert und 1968 schwer verletzt ausgeflogen. Danach engagierte er sich auf Seite der Kriegsgegner, organisierte eine Protestaktion vor einer Militärbasis. Die Folge waren fast zwei Jahre Gefängnis und die unehrenhafte Entlassung aus der US-Armee.
Gegen die Hersteller von Agent Orange haben US-Veteranen Klage geführt. Im Jahr 1984 erfolgte der Vergleich: Die sieben Hersteller von Entlaubungsmitteln zahlten 180 Millionen Dollar an insgesamt 230 000 Agent-Orange-geschädigte Soldaten. Im Gegenzug sollten die Akten geschlossen werden. Auch Mizo erhielt 5000 Dollar. Die 180 Millionen sind längst aufgebraucht, Forderungen aber werden weiter erhoben. Unter anderem, weil Veteranen erst später an den Folgen des Kontakts mit Dioxin erkrankten.
Das wahre Leiden können Statistiken über die Folgen der Entlaubungsgifte nicht beschreiben.
Seit drei Wochen laufen wieder Klagen von Agent-Orange-Geschädigten: Vietnamesische Opfer klagen erstmals in den USA. Gemeinsam mit US-Veteranen werfen sie Chemiefirmen wie Monsanto oder Dow Chemical vor, die amerikanische Regierung nicht über die wahren Risiken der Entlaubungsmittel aufgeklärt zu haben. Am 13. Januar des kommenden Jahres wird entschieden, obes zur Hauptverhandlung kommt. Absehbar wäre auf jeden Fall eine wohl langwierige juristische Auseinandersetzung. In der Anklageschrift lautet der Vorwurf auf Genozid , Völkermord. Ziel sei es gewesen, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe ganz oder in Teilen zu zerstören . Zu diesem Ziel rechnen die Kläger Maßnahmen, die Geburten innerhalb der Gruppe zu verhindern trachten . Die Chemiefirmen weisen diesen Vorwurf weit von sich. Entschädigungen haben die Amerikaner an Vietnam nie gezahlt. Das Thema Agent Orange ist offiziell keines: Die Hersteller bestreiten den Zusammenhang zwischen ihren Produkten und Spätfolgen wie Krankheiten, Fehlgeburten oder Missbildungen.
Der unmittelbare Beweis, dass exakt die chlorhaltigen Entlaubungsmittel mit der Komponente TCDD Auslöser von Erkrankungen und Missbildungen sind, ist Experten zufolge schwer zu führen. Verdichtete Hinweise aber liefern Studien: Sie weisen darauf hin, dass Missbildungen im Zusammenhang mit dem Kontakt zu dioxinhaltigen Mitteln stehen. In stark mit Entlaubungsmitteln traktierten Gebieten beispielsweise ist die Missbildungsrate von Kindern heute noch um das Dreifache erhöht. Es gibt in Vietnam Familien, die nur behinderte Kinder haben oder denen alle Kinder weggestorben sind. Der Grund ist, dass die Eltern während der Sprühaktionen der Amerikaner selbst vom Gift getroffen wurden oder es beispielsweise über die Nahrungskette aufgenommen haben. Die Vergiftung kann eine Generation überspringen, sodass die nicht missgebildeten Kinder von Eltern, die stark mit dem Gift in Kontakt kamen, nun Kinder mit zum Teil schweren Schädigungen bekommen.
Untersuchungen, wie sehr Boden und Wasser und damit die Lebensgrundlagen vieler Bauernfamilien in Vietnam mit Dioxin belastet sind, gibt es so gut wie nicht. Karten des US-Militärs aber geben Hinweise: Darauf ist verzeichnet, wie viel der giftigen Fracht wo niedergegangen ist. Die auf der Karte wie Balken wirkenden Flächen betreffen im Süden des Landes fast die Hälfte des Gebiets. Insgesamt wurden 72 Millionen Liter Entlaubungsgift zwischen 1961 und 1971 versprüht. Vor allem an der Demarkationslinie zwischen dem früheren Nordvietnam und Südvietnam wurde besonders viel Gift eingesetzt. Genauso wie den ganzen Ho-Tschi-Minh-Pfad entlang, an der Grenze zu Laos und in den Dschungelgebieten Südvietnams sowie im Mekong-Delta. Aus diesen Gebieten heraus hatte der Vietcong die Amerikaner und das mit ihnen verbündete Regime in Saigon attackiert. Nach wie vor eine Gefahr und der Grund für weitere Missbildungen oder Fehlgeburten sind sogenannte Hot Spots. Orte, wo Agent Orange und die anderen Herbizide mit den von der Farbe der Banderolen an den Fässern abgeleiteten Namen von Agent White bis Agent Purple während des Vietnamkriegs unsachgemäß gelagert wurden. Sie verseuchen die Umgebung heute noch, nach Jahrzehnten. Zwei bis vier Millionen Menschen sind laut Schätzungen durch Agent Orange geschädigt. 100 000 bis 200 000 davon sind Kinder. Die Zahlen sagen über das wahre Leid allerdings wenig aus: Viele Kinder sterben schon vor oder kurz nach der Geburt oder sie überleben wegen Missbildungen und mangels moderner Medizin nicht lange.
Dorf der Freundschaft e.V.
www.dorfderfreundschaft.de
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