Liebe Freundinnen und Freunde des Dorfs der Freundschaft in Vietnam,
im April diesen Jahres haben wir das 20-jährige Bestehen des Dorfs der Freundschaft gefeiert - gemeinsam mit den BewohnerInnen und Mitarbeitenden des Dorfs sowie mit VertreterInnen unserer vietnamesischen Partnerorganisation und nationalen und internationalen Unterstützergruppen.
(Sie können diesen Rundbrief hier als PDF herunterladen)
Ein vietnamesisches Sprichwort lautet: “Wenn Du die Früchte erntest, erinnere Dich an die, die den Baum gepflanzt haben”.
Und so begann der Festtag in Stille und Gedenken am sorgfältig geschmückten “Ahnenaltar” vor den Fotos von George Mizo, dem Initiator des Dorfes, und anderen verstorbenen Unterstützern und Wegbegleitern wie Georges Doussin, dem langjährigen Vizepräsident des Internationalen Komitees sowie Takeo Yamauchi aus Japan und Jeff Huch und Don Flaxman aus USA.
Festakt
In Vietnam wird bei Feierlichkeiten mit wunderschönen Blumengestecken gratuliert, an denen die Namen der Gratulierenden mit goldenen Buchstaben befestigt sind - und so befand sich vor der Bühne ein Blumenmeer aus Gestecken, die die vielfältige Unterstützung des Dorfs durch einheimische Organisationen und Personen deutlich machten.
Dann wurde gefeiert - mit Musik, Tanz und festlichen Reden, in denen immer wieder die Freude und Dankbarkeit für alles Entstandene zum Ausdruck gebracht wurde.
Berührend war und ist für mich immer wieder, dass die Lehrerinnen, Therapeuten und Hausmütter gemeinsam mit den behinderten Kindern und Jugendlichen auf der Bühne stehen und dass die Tänze wie selbstverständlich gemeinsam eingeübt und aufgeführt werden. Staunend entdecke ich unter den Tänzerinnen Kinder und Jugendliche, von denen ich weiß, dass sie gehörlos sind - und ich bin fasziniert und beeindruckt von der Freude und dem Gemeinschaftsgefühl, das alle ausstrahlen.
Eine besondere Ehre
Anlässlich des 20-jährigen Jubiläums erhielt das Dorf der Freundschaft zum zweiten Mal in seiner Geschichte die “First Class Labor Medal” des Staates Vietnam, eine Auszeichnung, mit der hervorragende Arbeit gewürdigt wird.
Ein neuer Spielplatz und Internationales Treffen zur Arbeitsplanung
Nach einem festlichen Mittagessen wurde der von unserer französischen Unterstützergruppe finanzierte Spielplatz eingeweiht. Er ist in Erinnerung an unseren verstorbenen Freund Georges Doussin entstanden, der das Dorf von Anfang an unterstützt und viele Jahre lang als Vizepräsident des Internationalen Komitees engagiert begleitet hat.
Danach begann das 17. Internationale Treffen der Unterstützergruppen aus Kanada, Frankreich, Japan, den USA, Deutschland und unserer vietnamesischen Partnerorganisation.
Herr Dinh Van Tuyen, Direktor des Dorfs, stellte in einem ausführlichen Rechenschafts- und Arbeitsbericht die Arbeit der letzten beiden Jahre vor und zeigte die Planungen und Perspektiven für die kommenden zwei Jahre auf.
Tätigkeitsberichte aus den Unterstützerländern gaben einen Einblick in die vielfältigen Aktivitäten, die dort initiiert werden, um auf die Problematik des Themas “Agent Orange” aufmerksam zu machen und Spenden für das Dorf der Freundschaft zu sammeln.
Die sehr gut durchdachten Vorschläge unserer vietnamesischen Partner und die wohl vorbereiteten Sitzungen ermöglichten ein intensives und konzentriertes Erarbeiten des Arbeitsplans für die nächsten beiden Jahre, der am folgenden Tag mit der Unterzeichnung des “Memorandum of Understanding” verabschiedet wurde.
v.l.n.r.: Mutsuo Sase ( Japan), Alain Bonnet (Frankreich), Trung Tuong Nguyen Van Dao (Vietnam), Rosemarie Höhn-Mizo (Deutschland), Stephen Abatiell (USA),Carol Stewart (Canada)
Inzwischen werden 80% der laufenden Kosten des Dorfs der Freundschaft durch unsere vietnamesischen Partner, den Veteranenverband, bestritten. Weitere zwei Prozent kommen als Spenden von Einzelpersonen und Gruppen, die das Dorf besuchen. Die restlichen 18% versucht die internationale Unterstützergruppe beizutragen; für 2019 sind dies ca. 82 600 Euro und für 2020 ca. 86 400 Euro.
Damit werden die Unterbringung, medizinische und therapeutische Versorgung von 1080 Kriegsveteranen (im “rollierenden System” mit Aufenthalten für jeweils mehrere Wochen) und etwa 120 Kindern und Jugendlichen mit Behinderungen finanziert; die im Dorf zudem schulische und berufliche Bildung erhalten.
Der biologische Gartenbau im Dorf deckt inzwischen 80% des benötigten Eigenbedarfs an Gemüse. Produkte, die von den jungen Erwachsenen im Dorf der Freundschaft hergestellt werden, werden inzwischen in mehreren Läden in Hanoi verkauft. Der Heilpflanzengarten soll mit Hilfe einer Spende aus Kanada weiter ausgebaut werden. Daneben soll in Kooperation mit der Organisation “Elektriker ohne Grenzen” noch in diesem Jahr die Solaranlage im Dorf realisiert werden.
Angesichts der großen und sehr heterogenen Schulklassen im Dorf der Freundschaft und des erweiterten Bedarfs an physiotherapeutischer Behandlung sind jeweils eine weitere Stelle in den Bereichen Sonderpädagogik und Physiotherapie geplant.
Lighter than Orange
Ebenfalls zu Gast war Prof. Matthias Leupold, in dessen mehrfach prämiertem Film “Lighter than Orange” Kriegsveteranen von ihren Lebensgeschichten berichten. Die Atmosphäre, die entstand, als wir als internationale Delegation seinen Film gemeinsam mit den Kriegsveteranen, die zur Zeit im Dorf der Freundschaft in Behandlung sind, angeschaut haben, lässt sich kaum in Worte fassen... die Betroffenheit angesichts all des Leids der Kriegsveteranen und ihrer Familien - und zugleich das Bewusstsein, nicht darüber schweigen zu dürfen, sondern wie der Film selbst die Folgen von Krieg deutlich zu machen.
Ein ganz besonderer Abend
Es ist eine schöne Tradition, dass der Abend des Internationalen Treffens von den Mitarbeitenden und BewohnerInnen des Dorfs gemeinsam gestaltet wird. Es ist deutlich, dass alle Mitwirkenden monatelang darauf hin gearbeitet haben: die vielen wunderbaren Tänze und Gesänge haben uns alle sehr beeindruckt.
Der Höhepunkt, der uns wohl allen sehr zu Herzen ging, war in diesem Jahr ein Theaterstück, in dem die Kinder und Jugendlichen gemeinsam mit ihren Lehrerinnen, Therapeuten und Hausmüttern die Geschichte des Dorfs der Freundschaft spielten. Begonnen mit Szenen aus dem Vietnamkrieg wurden Familiensituationen gespielt, die sich so oder ähnlich sicher tausendfach ereignet haben: der Vater kommt zurück aus dem Krieg und aus der Freude der Familiengründung wird Traurigkeit bei der Erkenntnis, dass das ersehnte Kind nicht gesund ist.
Dann Szenen aus der Entstehung des Dorfs der Freundschaft und aus dem heutigen Alltag - und was mich am meisten bewegt hat: die Kinder und Jugendlichen dort auf der Bühne spielten sich selbst, ihre eigene Familien- und Lebenssituation und stellten dar, was das Dorf der Freundschaft für sie in ihrem Leben bedeutet.
Ich wünschte, ich könnte Ihnen etwas von diesen Momenten weitergeben, in denen trotz aller Schwere so viel Positives und Lebensbejahendes spürbar war.
Ihnen allen möchte ich von Herzen danken für Ihre Unterstützung und für so vieles, das mit Ihrer Hilfe und Ihren Spenden über all diese Jahre hin möglich geworden ist.
Danke.
Rosemarie Höhn-Mizo
Was aus einer Idee entstehen kann...
von Barbara Wittmann, Schulleiterin der Kaywaldschule Lauffen a. N.
“Miss Rosi”, so wird Rosemarie Höhn-Mizo im Dorf genannt, hat mich gebeten, einen Artikel für den Rundbrief zu schreiben. Warum wohl? Ich denke, weil es meine erste Reise nach Asien bzw. nach Vietnam und in das Dorf der Freundschaft war. In zweiter Hinsicht, weil ich die Rektorin der Kaywaldschule bin, an der die Präsidentin des Dorfes seit langen Jahren tätig ist. Schon eine ganze Weile verfolge ich das Engagement von Rosi, die das Lebenswerk ihres verstorbenen Mannes so vorbildlich weiter führt.
Ich wusste, dass sie bei ihren vielen Besuchen in Vietnam ab und zu auch Rundreisen organisiert. So musste ich es jetzt einfach wagen, auch selbst einmal mit dieser besonderen Reisegruppe nach Vietnam zu fliegen. Das Land und die Menschen beeindruckten mich in vielerlei Hinsicht, auch wie sich Sozialismus und Kapitalismus auf eine fast natürliche Art verbinden lassen. Man spürt auf der Reise die Aufbruchstimmung, was nicht immer von Vorteil für das Land sein muss. Der Tourismus bricht in das Land zunehmend ein und wird es unwiederbringlich verändern. Die Landschaften sind gigantisch, vom Dschungel bis zum Meer, die Reisfelder und die kleinen Dörfer mit ihren Einwohnern, die mit wenig glücklich und zufrieden sind.
Im Dorf der Freundschaft wurden wir überaus höflich und respektvoll begrüßt und bewirtet. Die Festivitäten zum 20. Jubiläum waren mit enorm viel Enthusiasmus gestaltet und die Vorführungen der Kinder und Jugendlichen waren begeisternd. Als “Deutsche Delegation” steuerten wir sogar einen musikalischen Beitrag bei, der bei allen sehr gut ankam. Wir durften auch an einer Sitzung des Komitees teilhaben und es war überwältigend zu hören, wie sich die Mitgliedsstaaten mit unterschiedlichsten Aktionen beteiligen, um Spenden für das Dorf zu sammeln und weitere Projekt finanzieren zu können.
Nach unserer Rundreise kehrten wir nochmals zurück in das Dorf und erhielten eine Führung vom Leiter des Dorfes. Die SchülerInnen, die Lehrerinnen und Angestellten gaben uns einen Einblick in Schule, Werkstatt und Wohnheim. Es war phantastisch zu erleben, was aus einer Idee entstehen kann, wenn man sie mit Enthusiasmus, Glauben an die Menschlichkeit und viel Durchhaltevermögen verfolgt. Ich möchte mich bei Rosi für die Organisation der Reise herzlichst bedanken - und natürlich auch bei der weltbesten Reiseführerin Hoa.
Steh auf, nimm Dein Bett und geh!
Aus einer Gästeandacht an der Ev. Akdemie Bad Boll, gestaltet von Sigrid Schöttle
[...] Warum gelingt es dort in Vietnam so wohlwollend und wertschätzend, ein vergleichsweise gigantisches Sozial- und Politikprojekt unter schwierigen Bedingungen aufzubauen?
"Es gibt immer mehr Straßen und immer weniger Ziele.", meint Werner Mitsch. Manchmal scheint es mir, als seien den Menschen Zukunftsperspektiven weggerutscht. Der Schritt in die Ziellosigkeit ist der entscheidende Schritt in die Bedeutungslosigkeit.
Das Dorf der Freundschaft hat dagegen einen klaren, für sich engumrissenen Leitgedanken, den sie gemeinsam teilen. Und: es bietet die größtmögliche Freiheit für den Einzelnen, mitzugestalten, sich einzubringen, mitzumachen...
Es ist ein Wechselspiel von Führung und Engagement, von Ziel und Überzeugung: Wenn Du Dich betreffen lässt, von deren Schicksalen, dann kannst Du mitmachen. Irgendwie... sei leidenschaftlich und kreativ! Da wird ein Spielplatz eingeweiht, den ein Franzose über sein Vermächtnis posthum aufbauen ließ.
Eine Kanadierin kam, um einen Kräutergarten einzurichten, als Betätigungsfeld und für die hauseigene Küche.
Zwei Männer von "Elektriker ohne Grenzen" werden kostenlos eine gespendete Solaranlage auf ein Dach des Dorfes bauen. Zwei Sonderschullehrerinnen haben drei Monate lang im Freiwilligendienst mit den Hausmüttern ein Sport- und Bewegungsprogramm vor Ort konzipiert, das nun im Wochenverlauf integriert stattfindet.
You can make a difference...
Ein wunderbar offenes Leitbild des Dorfes, das trägt. Das beschwingt mich und befreit zu Taten, weil Phantasie und Kreativität gefragt sind. Diese Aussage verweist mich auf mich selbst. Sie gibt mir meine eigene Verantwortung zurück, die ich habe, als Mensch in der Welt:
Wovon bin ich betroffen? Was betrifft mich? Was verlangt die Zukunft von mir? Was kann ich einbringen?
Die Bibel erzählt im Johannes-Evangelium von einem bettlägrigen Mann: “Steh auf, nimm Dein Bett und geh”, sagt Jesus zu ihm. Der seit 38 Jahren Gelähmte steht tatsächlich auf.
Eine typische Wunderheilung?
Es geht in diesen Geschichten nicht um Historizität und Dokumentation, sondern um die innenwohnende Botschaft: Der Mann ist nicht im herkömmlichen Sinn gelähmt. Das Entscheidende ist seine Lähmung im Denken, seine Einstellung.
Dieses “Steh auf!” bedeutet: Hör auf zu jammern, was nicht geht! Hör auf, gelähmt auf das zu schauen, was Du willst, aber nicht kannst! Schau nach, was geht, und tu das dann auch! Offensichtlich war das genau das, was der Gelähmte gebraucht hat. Jesus sagt nicht, WIE er das tun und was er meistern kann. Neu in seinem Leben ist der Mut, sich für neue Perspektiven zu öffnen, die ihn und sein Leben in Bewegung bringen.
Oft lassen wir uns festlegen auf das Bett der Entscheidungen von oben und jammern darüber, dass sich nichts ändert. Wir mauern neue Vorschläge ab, um nicht erst in die Gefahr zu kommen, das bisherige Tun ändern zu müssen. Wir fragen ständig, was wir tun dürfen, statt was wir tun müssen, kraft innerer Überzeugung.
Ich erzähle Ihnen heute vom Dorf der Freundschaft, um das Dorf und seine Leitungsmaxime bekanntzumachen. Ich möchte Ihnen diese Idee des Engagements aus eigenem Antrieb heraus, aus eigener Achtsamkeit auf die Dinge und auf unser Wirken und einer eigenen politischen oder sozialen Reflexion heraus, als Impuls mitzugeben:
You can make a difference.
In Vietnam, Boll oder Stuttgart. Jede/r kann verändern auf ihre oder seine Weise. Bei der Arbeit, in der Familie, im Straßenverkehr. Achten Sie heute doch mal drauf, wieviel Gestaltungsmöglichkeiten Sie entdecken und wieviel Einfluss Sie nehmen können.
Wir beten mit Shalom Ben-Chorin:
Wer den Frieden sucht,
wird den Andern suchen,
wird Zuhören lernen,
wird das Vergeben üben,
wird das Verdammen aufgeben,
wird Hoffnung wecken,
wird auf den Anderen zugehen,
wird zu seiner eigenen Schuld stehen,
wird geduldig dranbleiben,
wird selber vom Frieden Gottes leben -
Suchen wir den Frieden!
Amen.
Ein Tag mit der taz im Dorf der Freundschaft
Text von Le Hong Hoa, Dolmetscherin und Dorf-Unterstützerin
Ende Januar habe ich das Dorf mit einer zwölfköpfigen taz-Reisegruppe unter Leitung von Sven Hansen besucht. Im Rahmen einer Fühtrung durch Direktor Dinh Van Tuyen haben wir die Schule, die Berufsschule und die Klinik besichtigt und sind dort einer Gruppe von Freiwilligen aus Australien begegnet. Diese waren für zwei Wochen im Dorf, halfen abwechselnd in der Schule, in der Berufsschule und in der Klinik. Im Wohnhaus der Kinder mit den stärksten Behinderungen haben wir mit Lien und Loan gesprochen, die schon seit Längerem im Dorf wohnen. Sie besuchen die Computerklasse und bekommen daneben jeden Tag physiotherapeutische Behandlungen. Sie fühlen sich im Dorf sehr wohl und sind froh darüber, dass sie für längere Zeit im Dorf bleiben können.
In einem weiteren Wohnhaus warteten bereits 20 Veteranen auf uns, die einen Monat zur Kur im Dorf waren. Sie berichteten von ihren Kriegserlebnissen und ihrem Leben. Danach wurde rege über verschiedene Themen wie die Einstellung der Vietnamesen nach dem Krieg, Parallelen zwischen Deutschland und Vietnams wie der Staatenteilung nach den Kriegen sowie die unterschiedlichen politischen Systeme diskutiert - ein für alle Beteiligten sehr interessanter und gelungener Vormittag.
Für 2019 gibt es auch bereits einen Reisetermin:
Montag, 7.- Sonntag 20.1.;
Dorfbesuch voraussichtlich am 17.1.
Fotonachweis: Sven Hansen, Birgit Grau, Heinz Guthfleisch, Michael Mizo