Steh auf, nimm Dein Bett und geh!
Aus einer Gästeandacht an der Ev. Akdemie Bad Boll, gestaltet von Sigrid Schöttle
[...] Warum gelingt es dort in Vietnam so wohlwollend und wertschätzend, ein vergleichsweise gigantisches Sozial- und Politikprojekt unter schwierigen Bedingungen aufzubauen?
"Es gibt immer mehr Straßen und immer weniger Ziele.", meint Werner Mitsch. Manchmal scheint es mir, als seien den Menschen Zukunftsperspektiven weggerutscht. Der Schritt in die Ziellosigkeit ist der entscheidende Schritt in die Bedeutungslosigkeit.
Das Dorf der Freundschaft hat dagegen einen klaren, für sich engumrissenen Leitgedanken, den sie gemeinsam teilen. Und: es bietet die größtmögliche Freiheit für den Einzelnen, mitzugestalten, sich einzubringen, mitzumachen...
Es ist ein Wechselspiel von Führung und Engagement, von Ziel und Überzeugung: Wenn Du Dich betreffen lässt, von deren Schicksalen, dann kannst Du mitmachen. Irgendwie... sei leidenschaftlich und kreativ! Da wird ein Spielplatz eingeweiht, den ein Franzose über sein Vermächtnis posthum aufbauen ließ.
Eine Kanadierin kam, um einen Kräutergarten einzurichten, als Betätigungsfeld und für die hauseigene Küche.
Zwei Männer von "Elektriker ohne Grenzen" werden kostenlos eine gespendete Solaranlage auf ein Dach des Dorfes bauen. Zwei Sonderschullehrerinnen haben drei Monate lang im Freiwilligendienst mit den Hausmüttern ein Sport- und Bewegungsprogramm vor Ort konzipiert, das nun im Wochenverlauf integriert stattfindet.
You can make a difference...
Ein wunderbar offenes Leitbild des Dorfes, das trägt. Das beschwingt mich und befreit zu Taten, weil Phantasie und Kreativität gefragt sind. Diese Aussage verweist mich auf mich selbst. Sie gibt mir meine eigene Verantwortung zurück, die ich habe, als Mensch in der Welt:
Wovon bin ich betroffen? Was betrifft mich? Was verlangt die Zukunft von mir? Was kann ich einbringen?
Die Bibel erzählt im Johannes-Evangelium von einem bettlägrigen Mann: “Steh auf, nimm Dein Bett und geh”, sagt Jesus zu ihm. Der seit 38 Jahren Gelähmte steht tatsächlich auf.
Eine typische Wunderheilung?
Es geht in diesen Geschichten nicht um Historizität und Dokumentation, sondern um die innenwohnende Botschaft: Der Mann ist nicht im herkömmlichen Sinn gelähmt. Das Entscheidende ist seine Lähmung im Denken, seine Einstellung.
Dieses “Steh auf!” bedeutet: Hör auf zu jammern, was nicht geht! Hör auf, gelähmt auf das zu schauen, was Du willst, aber nicht kannst! Schau nach, was geht, und tu das dann auch! Offensichtlich war das genau das, was der Gelähmte gebraucht hat. Jesus sagt nicht, WIE er das tun und was er meistern kann. Neu in seinem Leben ist der Mut, sich für neue Perspektiven zu öffnen, die ihn und sein Leben in Bewegung bringen.
Oft lassen wir uns festlegen auf das Bett der Entscheidungen von oben und jammern darüber, dass sich nichts ändert. Wir mauern neue Vorschläge ab, um nicht erst in die Gefahr zu kommen, das bisherige Tun ändern zu müssen. Wir fragen ständig, was wir tun dürfen, statt was wir tun müssen, kraft innerer Überzeugung.
Ich erzähle Ihnen heute vom Dorf der Freundschaft, um das Dorf und seine Leitungsmaxime bekanntzumachen. Ich möchte Ihnen diese Idee des Engagements aus eigenem Antrieb heraus, aus eigener Achtsamkeit auf die Dinge und auf unser Wirken und einer eigenen politischen oder sozialen Reflexion heraus, als Impuls mitzugeben:
You can make a difference.
In Vietnam, Boll oder Stuttgart. Jede/r kann verändern auf ihre oder seine Weise. Bei der Arbeit, in der Familie, im Straßenverkehr. Achten Sie heute doch mal drauf, wieviel Gestaltungsmöglichkeiten Sie entdecken und wieviel Einfluss Sie nehmen können.
Wir beten mit Shalom Ben-Chorin:
Wer den Frieden sucht,
wird den Andern suchen,
wird Zuhören lernen,
wird das Vergeben üben,
wird das Verdammen aufgeben,
wird Hoffnung wecken,
wird auf den Anderen zugehen,
wird zu seiner eigenen Schuld stehen,
wird geduldig dranbleiben,
wird selber vom Frieden Gottes leben -
Suchen wir den Frieden!
Amen.