Rundbrief August 2005
Liebe Freundinnen und Freunde, |
zunächst ein ganz herzliches Willkommen allen neuen Leserinnen und Lesern dieses Rundbriefs! Als im November und Dezember letzten Jahres in der Süddeutschen Zeitung drei Artikel von Henrik Bork zum Thema “Vietnam und die Nachwirkungen des Pflanzengiftes Agent Orange” erschienen, konnten wir nicht ahnen, welche Welle an Interesse, Hilfsbereitschaft und Unterstützung dies auslösen würde.
Wir vom Verein Dorf der Freundschaft e.V. waren einfach überwältigt und möchten uns an dieser Stelle ganz, ganz herzlich bedanken:
Im Namen von Huong und Giang und ihren Eltern, im Namen all der anderen vietnamesischen Kinder und Jugendlichen, denen mit diesen Spenden geholfen werden kann und im Namen von Henrik Bork, der diese Unterstützungsaktion initiiert hat. Ich selbst war Mitte Mai im Dorf der Freundschaft und möchte Ihnen gerne von den Eindrücken und der Arbeit dort berichten.
Huong und Giang
Die beiden jungen Frauen wurden Anfang des Jahres im Dorf der Freundschaft aufgenommen und erhalten seither eine regelmäßige physiotherapeutische Behandlung. Dadurch wird der Abbau der Muskulatur und die Versteifung der Gelenke aufgehalten.
Für beide (und für zwei weitere schwer behinderte Kinder) wurden in Zusammenarbeit mit Vietcot, der Orthopädiewerkstatt in Hanoi, individuell angefertigte Sitzschalen und Rollstühle angeschafft. Ich hatte die Gelegenheit, bei der “Anprobe” mit dabei zu sein und Huong und Giang zu erleben, wie sie zum ersten Mal in ihren fertiggestellten Rollstühlen aufrecht sitzen konnten. Alle, die mit dabei waren (Edith Heinlein, unsere DED-Physiotherapeutin, Dr. Binh, unsere vietnamesische Ärztin, die Mutter von Huong und Giang und ich) waren aufgeregt und beeindruckt. |
Ich kann nicht in Worte fassen, was für ein bewegender Moment es für uns war, als Giang, die ihre Arme noch etwas besser bewegen kann als ihre Schwester, im Rollstuhl an die Räder fasste und zum ersten Mal zwar langsam, aber ohne fremde Hilfe auf ihre Mutter zu fuhr.
Ich wünschte, ich könnte das strahlende Lächeln der beiden und die Dankbarkeit ihrer Mutter in diesen Rundbrief packen und mitverschicken... als Dankeschön an alle, die dies ermöglicht haben !! |
Trotz ihrer schweren Behinderung sind die beiden ungeheuer lernbegierig und möchten so aktiv wie möglich sein: Giang kann inzwischen richtig gut Englisch, Huong begrüßte mich auf Deutsch mit “Bitte nehmen Sie Platz” und beide helfen mittlerweile beim Englischunterricht für die Kleinen im Dorf der Freundschaft mit.
Da sowohl Huong als auch Giang körperlich in der Lage sind, eine Computertastatur zu bedienen, werden sie im Moment in speziellen Schulungen darauf vorbereitet, ab August als Assistenzlehrerinnen in der Computerklasse des Dorfes zu arbeiten - sicherlich eine Herausforderung, aber für sie auch ein Riesenschritt, dann endlich - trotz aller Pflegebedürftigkeit und Abhängigkeit von der Hilfe anderer - selbständig etwas tun zu können und eine Aufgabe zu haben! |
Hung
Viele von Ihnen kennen Hung: der junge Mann, der im Dokumentarfilm “Das Dorf der Freundschaft” von seinen Träumen und Wünschen erzählt. Hung kehrte zurück zu seiner Familie, als sein Vater nach dem Tod von Hungs Mutter ein zweites Mal heiratete und seinen Sohn wieder in die Familie aufnehmen konnte. Als wir ihn im letzten Herbst zu Hause besuchten, war deutlich, dass er in der Familie keine Aufgabe hatte; eine Arbeitsmöglichkeit war nicht gefunden.
Schon damals war klar, dass Hung eine Aufgabe und Perspektive braucht. Daher regte unser damaliger Direktor an, ihn im Dorf anzustellen. Nun ist es möglich: Hung wird - mit entsprechenden Hilfsmitteln für seine missgebildeten Hände - ebenfalls als Assistenzlehrer für den Computerunterricht beschäftigt werden können. |
Mit diesen Anstellungen, die aus unseren Spendenmitteln finanziert werden, wollen wir ein Zeichen der Wertschätzung und der Lebensperspektive für diese behinderten jungen Menschen setzen.
Neue Lehrerinnen
Es war beeindruckend zu erleben, wie viel sich in der guten Zusammenarbeit mit unserer DED-Sonderpädagogin Vivien Heller und unseren vietnamesischen Lehrerinnen im Unterricht für die Klassen der geistig behinderten Schülerinnen und Schüler entwickelt hat. Mit dem neuen, vom Vietnam Childrens Fund und dem US-Komitee finanzierten Schulgebäude stehen nun mehr Klassenräume zur Verfügung; die schon lange notwendige Verkleinerung der Klassen wird möglich.
In Vietnam werden in diesem Monat die ersten Studierenden des neuen Studiengangs Sonderpädagogik ihre Abschlußexamina machen. Gemeinsam mit dem amtierenden Direktor des Dorfs der Freundschaft, den Vizedirektoren und Vivien Heller konnte ich beim Bewerbungsgespräch von drei Sonderpädagoginnen für die Arbeit in der Schule des Dorfes teilnehmen. Sie waren trotz ihrer anstehenden Prüfungen zum Bewerbungsgespräch gekommen und überzeugten mit ihrem Wissen und ihrer Einsatzbereitschaft für diese Arbeit. |
Wir freuen uns sehr, die drei Sonderpädagoginnen im Dorf der Freundschaft anstellen zu können. Die pädagogische Arbeit mit den geistig und körperlich behinderten Kindern und Jugendlichen kann damit weiter verbessert werden.
Fast fertige Baustelle
Und noch eine gute Nachricht: das neue Wohnhaus, das aus Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung und mit Geldern des deutschen Unterstützervereins finanziert wird, ist fast fertig gestellt. Damit können im Sommer weitere behinderte Kinder und Jugendliche aufgenommen werden. |
...und weitere “Baustellen”
Es wird noch eine neue konkrete Baustelle geben: ab Herbst wird mit der Klinikerweiterung begonnen, die dafür notwendigen Gelder stellt die vietnamesische Regierung zur Verfügung. Die Ausstattung der Klinik, die behinderte und von Behinderung bedrohte Kinder dann sowohl stationär als auch ambulant betreuen wird, liegt in den Händen der internationalen Unterstützergruppe.
Darüber hinaus gibt es natürlich auch noch viele “Ideen-Baustellen”: die Arbeit der Hausmütter durch gezielte Fortbildungen weiter zu qualifizieren, mit den Lehrerkollegien anderer Projekte zusammenzuarbeiten und Strukturen der Förderung zu entwickeln (erste Begegnungen und Kooperationen in dieser Richtung gab es in den letzten Wochen), Zusammenarbeit unserer Nähwerkstatt mit der Orthopädiewerkstatt zur Herstellung von Maßanfertigungen (Westen zum sicheren Sitz im Rollstuhl etc.), Gemüseverkauf aus dem ökologischen Anbau auf den Märkten der Umgegend...
Wir bitten Sie herzlich um Ihre Unterstützung, damit das Dorf der Freundschaft diese wichtige und notwendige Arbeit auch weiterhin leisten kann.
Rosemarie Höhn-Mizo
Ehemaliger Direktor des Dorfs in den Ruhestand verabschiedet
“Hungs Geschichte”
Von Suel Jones (übersetzt und redigiert von R. Höhn-Mizo)
Als 11-Jähriger verließ Nguyen Khai Hung seine Familie, um als Botenjunge für die vietnamesische Armee zu arbeiten. Sein Vater war ein landloser Bauer, der sich als Arbeiter in den Reisfeldern anderer Familien verdingte. Obwohl der Junge seinen Namen änderte, um seine Familie zu schützen, wurde der Vater ein Jahr später mit zehn anderen Männern verschleppt. Danach wurde er nie mehr gesehen.
1952 tritt Hung mit 16 Jahren seinen offiziellen Militärdienst an. Er arbeitet als Krankenpfleger während des französischen Krieges und leitet 1959 die Krankenpflegeabteilung im Cat Ba Island Armeekrankenhaus. 1971 verlässt er die Insel, um drei Monate lang auf dem Ho Chi Minh Pfad unterwegs zu sein und sich der nordvietnamesischen Armee in einem Gebiet zwischen Saigon und Kambodscha anzuschließen, wo er bis 1974 dient. 1977 geht er nach 27-jähriger Dienstzeit in den militärischen Ruhestand. 1989 wird die Vietnamesische Veteranenvereinigung gegründet, bei der Hung von Anfang an mitarbeitet. Als das Dorf der Freundschaft 1991 Gestalt annimmt, wird Hung zur Arbeit in diesem Projekt berufen. Ab der Eröffnung 1998 arbeitet er dann als Direktor des Dorfs der Freundschaft und kümmert sich um die Gesundheit und das Wohl der Kinder und Veteranen, die vom “amerikanischen Krieg” betroffen sind. |
Hung genoss es, die Kinder lachen und spielen zu sehen - eine Erfahrung, die er als Kind selten hatte. Aber seine Arbeit war weit mehr als dies. Er koordinierte Bauvorhaben wie z.B. für das Haus für schwer behinderte Kinder, er kümmerte sich um die regelmäßigen organisatorischen Aufgaben, die Öffentlichkeitsarbeit, den Empfang von Besuchern, er war im Vorstand der Veteranenorganisation, die das Dorf leitet...
Seit April diesen Jahres ist Nguyen Khai Hung im Ruhestand. Er wird vermißt werden - von den Kindern des Dorfs und von allen, die mit ihm zusammengearbeitet haben.
Wir wünschen ihm alles Gute.
Innovationspreis für ökologisches Gartenprojekt im “Dorf”
Im Mai letzten Jahres hat John Berlow ein Projekt zum ökologischen Gartenbau gestartet. John ist Rechtsanwalt und ein Veteran der US-Antikriegsbewegung; seit 2000 lebt er in Vietnam. Die Arbeit im Gartenprojekt wird getragen von vietnamesischen und internationalen Freiwilligen in Zusammenarbeit mit der Leitung und den Mitarbeitern des Dorfes sowie ortsansässigen Bauern und einer Firma für organischen Anbau in Hanoi.
Die wichtigsten Zielsetzungen sind: |
- gesunde Produkte für das Dorf zu liefern
- eine sinnvolle Beschäftigung für einige der Kinder zu bieten, die ihnen zudem nützliche Fertigkeiten für ihre Zukunft vermittelt
- eine wertvolle Einnahmequelle und Öffentlichkeit für das Dorf zu schaffen, indem die Produkte auch in Hanoi verkauft werden
- Aufmerksamkeit zu schaffen für die langfristigen Konsequenzen des Krieges, insbesondere der chemischen Kriegsführung
Im Juni 2005 wurde das Gartenbauprojekt mit dem von der Weltbank geförderten “Innovation Day Award” ausgezeichnet - wir gratulieren ganz herzlich!
Teilnahme am Deutschen Evangelischen Kirchentag
Nach den Kirchentagen in Leipzig, Stuttgart und Frankfurt war der deutsche Unterstützerverein im Mai 2005 in Hannover mit einem Stand auf dem Markt der Möglichkeiten vertreten.
Dort hatten wir wieder viele interessante und gute Gespräche; sowohl mit Menschen, die uns bereits kennen, aber noch mehr mit solchen, die uns dadurch neu kennen gelernt haben. Bewährt hatte sich auch wieder die “Stapelaktion” nach dem Vorbild vietnamesischer Transportkunst per Fahrrad. Diese Mitmachmöglichkeit für Kinder am Stand ist immer auch eine gute Gelegenheit, mit den Eltern ins Gespräch zu kommen. |
Insgesamt bedeutet die Teilnahme am Kirchentag immer einen großen zeitlichen Aufwand, der als Teil unserer Öffentlichkeitsarbeit aber auch in Hannover wieder sehr lohnend war.
Daher möchten wir auch beim nächsten Evangelischen Kirchentag, der 2007 in Köln stattfinden wird, dabei sein; und dann 2010 in München erstmals auch bei einem Ökumenischen Kirchentag mitwirken. Schon im kommenden Jahr werden wir daher auch über den Rundbrief um die Mitwirkung einzelner Unterstützer/innen bitten. Auch Übernachtungsmöglichkeiten werden wir wieder benötigen - in Hannover waren sie uns eine große Hilfe, für die wir uns an dieser Stelle noch einmal ganz herzlich bedanken möchten!
Rainer Hub
Radtour durch Vietnam / Hubert-Schwarz-Stiftung spendet 10.000 Euro für das “Dorf der Freundschaft”
Im Folgenden zitieren wir Auszüge aus einer Pressemeldung über eine Radtour, die der Extremsportler Hubert Schwarz im April 2005 rund um Hanoi organisiert hat.
Schweiß und Tränen
“Es ist ein Land, über das man sich zuerst einmal wundert. Etwa, wenn man als Neuankömmling versucht, in Vietnams Hauptstadt Hanoi eine Straße zu überqueren. Wie sich dort die Wege ganzer Heerscharen von Mopedfahrern kreuzen, ohne dass jemand Schaden nimmt, dies muss einem ordnungsgeprägten Europäer rätselhaft bleiben. So war die kleine Radgruppe um den Extremsportler Hubert Schwarz wohl eher froh, erst außerhalb der Millionenmetropole in die Pedale treten zu dürfen. Auf der einwöchigen Tour - im um diese Jahreszeit noch mäßig feuchtheißen Klima - floss reichlich Schweiß; die oft über Nebenstraßen führenden Etappen boten aber auch authentische Einblicke in den Alltag der Vietnamesen, in ihre oft ärmlichen Lebensverhältnisse. Die Teilnehmer genossen die freundliche, unaufgeregte Art der Einheimischen, die meditative Stimmung alter Pagoden und natürlich die herrlichen Landschaften, beherrscht von endlosen Reisfeldern und hoch aufragenden Karstfelsen.
Das Idyll, das das vom Massentourismus noch weitgehend unerschlossene Vietnam bietet, war freilich nicht der eigentliche Antrieb dieser Reise. Hubert Schwarz hatte einen Scheck seiner Stiftung über 10.000 Euro im Gepäck, den er im “Dorf der Freundschaft” überreichte, einer inzwischen von internationaler Hilfe getragenen Einrichtung, die sich um die Opfer eines Waffengangs kümmert, der immerhin schon rund 35 Jahre zurückliegt. (...) Im “Dorf der Freundschaft” werden vor allem Kinder und Jugendliche versorgt, die durch das von den USA damals massenhaft eingesetzte Entlaubungsgift “Agent Orange” schwer geschädigt sind. Der dioxinhaltige Kampfstoff, der dem Gegner im Dschungel die Deckung nehmen sollte, verursachte schwere Schäden im Erbgut, die sich auf tückische Art bis heute fortpflanzen. Die dritte Generation der Betroffenen ist manchmal sogar schwerer geschädigt als die zweite. Die Behinderungen treten fast in beliebiger Form und Schwere auf: geistig wie körperlich. Manche Betroffene sind schon älter als 20, sehen aber aus wie Kinder. Im “Dorf der Freundschaft”, das übrigens auf die Initiative des ehemaligen US-Soldaten George Mizo zurückgeht und von vietnamesischen Veteranen mit betreut wird, werden die Behinderten nicht nur medizinisch versorgt, sondern so gut es geht auf eine Reintegration in ihren Familien und Dorfgemeinschaften vorbereitet. (...)
Wie sehr auch eine so gut organisierte Einrichtung wie das “Dorf der Freundschaft” auf Spenden angewiesen ist, belegt die Tatsache, dass von amerikanischer Seite bislang keine Entschädigungszahlungen geleistet wurden. Zwar investiert die Supermacht in Vietnams Wirtschaft, aber Klagen gegen US-Chemiekonzerne, die den Militärs einst die möglichen Folgen eines Agent-Orange-Einsatzes verschwiegen haben sollen, blieben erfolglos.
(...) Die Radlergruppe machte auf ihrer Tour immer wieder Station bei Familien, die mit ihrer Behinderung und mit Behinderten versuchen, ihre Lebensgrundlagen zu verbessern: (...) Auch sie wurden mit einer Spende der Hubert-Schwarz-Stiftung unterstützt.
Und schließlich setzte die exotische Truppe mit ihren bunten Trikots auch selbst ein Signal, wie es die Verantwortlichen im “Dorf der Freundschaft” wohl nicht erwartet hatten: Als die Rede darauf kam, dass es in der Einrichtung an Waschmaschinen fehle, legte die Gruppe Geld für zwei solche Geräte zusammen, fuhr ins nächste Elektrogeschäft und lieferte die Ware prompt am Dorfplatz aus. Über soviel Spontaneität ihrer deutschen Gäste staunte denn auch die vietnamesische Seite nicht schlecht.”
An Hubert Schwarz und alle Beteiligten ein herzliches Dankeschön für alle Unterstützung!