Das Dorf der Freundschaft ist ein internationales Versöhnungsprojekt. Es wurde durch den ehemaligen US-Soldaten George Mizo initiiert. Es bietet Menschen, die unter den Spätfolgen des Vietnamkrieges leiden – geistig und körperlich behinderten Kindern und Jugendlichen sowie Älteren – Hilfe und Unterstützung.

Ein Besuch auf dem Land



Vor unserer Reise hatte ich im Fax den Wunsch geäußert, eine Familie zu besuchen, deren Kind im Dorf der Freundschaft in Behandlung war. Ich war einfach neugierig, wie es der Familie ging, wieweit die Nachbetreuung funktioniert etc. Am Morgen fuhren wir noch kurz ins "Dorf der Freundschaft", ich brachte einige Schulmaterialien, die ich aus Deutschland mitgebracht hatte, bei den Lehrerinnen vorbei, und dann fuhren wir in ein Dorf weiter außerhalb von Hanoi. Empfangen wurden wir vom Vorsitzenden des Volkskomitees und der Veteranengruppe des Dorfes. Beide dankten in bewegenden Worten für die Arbeit, die das "Dorf der Freundschaft" leistet. Der Vorsitzende des Volkskomitees sagte, er habe selbst nach dem Krieg einen geistig behinderten Sohn bekommen und wisse, wie schwer es für die Familien sei. Mei, das kleine Mädchen, in dessen Zuhause wir zu Gast waren, ist geistig behindert und gehörlos. Sie war jetzt fast zwei Jahre im "Dorf der Freundschaft" gewesen und hat in dieser Zeit gelernt, sich ein wenig mit Gesten und Lauten zu verständigen. Mei ist das jüngste von fünf Kindern. Ihre vier älteren Brüder sind alle ebenfalls geistig behindert und gehörlos. Der Vater ist vor einigen Jahren gestorben. Sein Bruder kümmert sich, so gut er kann, um die Familie. Die Mutter arbeitet auf dem Feld, die 84jährige Großmutter kümmert sich um die vier behinderten Jugendlichen. Die Familie wohnt in zwei kleinen Zimmern; vor dem kleinen Innenhof des Hauses steht im Stall eine Kuh, die über einen Landwirtschaftskredit gekauft werden konnte. Als ich frage, ob und was Meis Brüder denn tun können, sagt die Großmutter, daß einer der Jungen in der Lage ist, auf die Kuh aufzupassen.
Ich brauche nicht weiter zu fragen, um zu wissen, wie sehr es dieser Familie geholfen hat, daß eins der Kinder über längere Zeit gut versorgt und gefördert war.
Die Dankbarkeit, die mir entgegengebracht wird, ist überwältigend, und sie enthält etwas, was ich mir zuvor nicht klar gemacht hatte: es ist auch die Dankbarkeit dafür, daß mir/daß uns, die wir uns für das "Dorf der Freundschaft" einsetzen, das Schicksal dieser Menschen und dieser Familien nicht egal ist... daß wir kommen und fragen und wissen wollen und dieses Wissen mitnehmen...

Ich erfahre bei diesem Besuch auch, daß inzwischen die ersten Fälle von Mißbildungen in der dritten Generation auftreten. In der Provinz‚ in der ich war, sind schon 16 kleine ein- bis zweijährige Kinder bekannt, deren Großväter oder Großmütter als junge Menschen in Südvietnam im Krieg waren und die mit Gliedmaßenfehlbildungen und anderen Behinderungen zur Welt kamen.

Rosemarie Höhn-Mizo